Aufklärung (1720–1800)

Wie ein frischer Wind weht der Geist der Aufklärung durch das Europa des 18. Jahrhunderts. In Frankreich wird er zum Sturm einer großen politischen Revolution, aus der der französische Nationalstaat hervorgeht, in Deutschland bleibt er eher ein lindes Lüftchen, das aber immerhin die Geisteswelt bewegt. Denkbewegung herrscht auf allen Gebieten. Kritisches Fragen und Zweifeln gilt nur noch den weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten als sündhaft, dem zu Selbstbewusstsein gelangten Bürger erscheint es als gutes Recht, ja als Tugend. Dies neue Selbstbewusstsein hängt zusammen mit ökonomischen Veränderungen, wie z.B. dem Manufakturwesen, die das Bürgertum zur wirtschaftlich bedeutendsten Schicht gemacht hatten. Zwei philosophische Strömungen wirken in der Aufklärung zusammen: der aus England kommende Empirismus, nach dem die Erkenntnis auf der Sinneswahrnehmung beruht, und der aus Frankreich stammende Rationalismus, nach dem die Erkenntnis aus dem Gebrauch der „ratio“, der im Verstand gegründeten Denkfähigkeit, resultiert.
Mit der Einsicht, dass der Mensch als Individuum und als denkendes Wesen zu definieren sei („cogito ergo sum“ – ich denke, also bin ich), hatte der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) der Aufklärung eine gedankliche Begründung gegeben. Die Verstandesfähigkeit ist eng mit der Sprachfähigkeit verbunden. Denken und sprechen zu können unterscheidet die menschlichen von anderen Wesen. Beide Fähigkeiten müssen aber gelernt und ausgebildet werden. Die neue bürgerliche Gesellschaft des 18. Jahrhunderts setzte auf Vernunft, Bildung und Erziehung. Klare Begriffe und logisches Denken waren deren Ziel. Mit ihrer Hilfe sollte auch die Emanzipation der Menschen aus religiöser dogmatischer Bevormundung vorangetrieben werden. Von dem deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) stammt die Aufforderung: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“
Im Prinzip ist jeder zu diesem Lernprozess befähigt, jeder Mensch kann Weisheit und Tugend verwirklichen. Tugend wird zu einem Leitbegriff der Epoche und ihre Beförderung zu einem Hauptziel der Aufklärung. Das Gute und das Vernünftige werden gleichgesetzt, tugendhaftes Verhalten bringt das Handeln mit dem überindividuellen, kosmisch wirksamen System der Vernunft in Einklang. Aus dieser Überzeugung erwächst der Fortschrittsoptimismus der Aufklärung, der in schroffem Gegensatz zu dem „Vanitas“-Gedanken des Barock steht.
Die Kunst der Aristokratie und des Hofes diente der Dekoration, die des aufgeklärten Bürgertums dem Ausdruck vernünftiger Gedanken und menschlicher Gefühle. Die Aufgabe der Literatur wird in Anlehnung an den antiken lateinischen Dichter Horaz in „prodesse et delectare“ (nützen/belehren und erfreuen) gesehen. Einfache, auf Belehrung ausgerichtete Formen, wie zum Beispiel Fabeln in Prosa- und Versform, nehmen einen breiten Raum ein. Die wichtigste literarische Neuerung ist das so genannte bürgerliche Trauerspiel, das bürgerliche Personen und ihre Weltauffassung ins Zentrum der Handlung rückt und Standeskonflikte zwischen Adel bzw. Hof einerseits und dem Bürgertum andererseits in kritischer Absicht auf die Bühne bringt („Emilia Galotti“).
Eine typische Zeiterscheinung im Bereich der Publizistik sind die aus England übernommenen „Moralischen Wochenschriften“, die das enorm gewachsene Lesebedürfnis in der Bevölkerung befriedigen. Durch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht (z.B. in Preußen 1716/17) war das potenzielle Lesepublikum am Ende des 18. Jahrhunderts auf 15–20 % einer geschätzten Gesamtbevölkerungszahl von 20 Millionen angewachsen. Erschienen zwischen 1730 und 1740 noch 176 neue Zeitschriften, so kamen zwischen 1766 und 1790 schon 2191 Zeitschriften in die Hände der Leser. Das Wort von der „Lesesucht“ kam in Umlauf, besonders kritisch gemeint von den kirchlichen Autoritäten. Intention der „Moralischen Wochenschriften“ war es, die Erkenntnisse und Einsichten der Gelehrten und Philosophen möglichst vielen bürgerlichen Leserinnen und Lesern zu vermitteln.

Epoche und geschichtliche Hintergründe

Wichtige Autorinnen/Autoren und Werke


Johann Christoph Gottsched (1700–1766): Versuch einer kritischen Dichtkunst vor die Deutschen
Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781): Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück (Komödie), Emilia Galotti (bürgerliches Trauerspiel), Nathan der Weise (Drama)
Sophie von La Roche (1731–1807): Geschichte des Fräuleins von Sternheim (Roman)
Christoph Martin Wieland (1733–1813): Geschichte des Agathon (Roman)
Ulrich Bräker (1735–1798): Lebensgeschichte und natürliche Abenteuer des armen Mannes im Tockenburg (Autobiografie)
Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799): Aphorismen