Reportage

(von lat. reportare „berichten, melden")
ein namentlich gekennzeichneter journalistischer Text, der in besonders lebendiger und anschaulicher Weise über ein Ereignis oder eine Person informiert; dabei kann auch das persönliche Erleben der Reporterin/des Reporters deutlich werden. Reportagen versuchen Atmosphäre einzufangen und führen mitten in ein Geschehen. Leserinnen und Leser sollen gedanklich und emotional in das Geschilderte hineingezogen werden. Jede Reportage bietet die


Diese drei Bereiche sind bei längeren Reportagen häufig vermischt. Eine spezielle Form der Reportage ist die Sozialreportage, die über wichtige soziale Probleme informiert und diese kommentiert und kritisiert. Diese kritische Sicht geht oft bis zur Parteilichkeit, mit der Interessen der Benachteiligten, Minderheiten oder Unterdrückten herausgestellt und Unmenschlichkeit entlarvt werden. Doch auch das Schöne oder einfach nur Alltägliche eines gesellschaftlichen Bereichs kann vermittelt werden.

Die drei Ebenen der Reportage

Beispiel

Hedwig Dohm
Frauenarbeit (1874)

Zuverlässige Schriften über deutsche Frauenarbeit aufzutreiben, ist mir nicht gelungen. Entweder fehlt es an solchen Schriften oder sie herbeizuschaffen ist für eine Frau, die öffentliche Bibliotheken nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand von Energie und Unbescheidenheit benutzen kann, allzu schwierig. Ich musste mich mit französischen und vornehmlich englischen Schriften begnügen, die glücklicherweise ein ausreichendes und zuverlässiges Material liefern.
Die ökonomischen Verhältnisse, die Anschauungen über Frauenwesen und Frauennatur sind im zivilisierten Europa ziemlich überall dieselben; so werden auch die daraus resultierenden Tatsachen keine wesentlichen Abweichungen zeigen, und was in England und Frankreich an der Tagesordnung ist, wird auch in Deutschland üblich sein.
Alle mir über diesen Gegenstand (die Frauenarbeit) vorliegenden Schriften lassen darüber keinen Zweifel: Nie und nirgend hat man die Frau von den mühsamsten und widerwärtigsten Beschäftigungen fern gehalten, etwa auf Grund ihrer zarten Konstitution oder ihrer Schamhaftigkeit – Schranken, die aufzuführen man niemals versäumt, wo es sich um höhere und einträglichere Arbeitsgebiete handelt. Im Gegenteil, für die unteren Stände scheint der Grundsatz zu gelten: je gröber, je anstrengender die Arbeit, desto besser für die Frauen. Einige Stellen aus zuverlässigen Berichten bewährter englischer Schriftsteller über Frauenarbeit in England mögen das Gesagte bestätigen.
In einigen Distrikten in England finden wir die Frauen mit Bereitung der Ziegelsteine beschäftigt. Sie legen die gekneteten Steine zum Behuf des Trocknens auf dem Boden in Reihen aus, sie helfen bei dem Prozess des Feststampfens und gehen mit nackten Füßen über den nassen Ton und zuweilen auch über heiße Röhren. Tausende von Frauen sind bei Fabrikarbeiten an der Tyne in chemischen und Schnurfabriken, in Glashütten, Papiermühlen, Leimsiedereien, in Geschirr- und Tabaksfabriken beschäftigt; sie arbeiten in Baumschulen und als Feldarbeiterinnen, und stets fallen ihnen die niedrigsten, schwierigsten und schmutzigsten Arbeiten zu.
Im Distrikt um Vigan ist das Verfertigen der Nägel eine den Frauen sehr geläufige Beschäftigung. In jener Gegend sieht man auch Frauen an den Kanalbooten bauen, die Schleusen öffnen, die Pferde treiben, ja, man sieht sie mit den Schiffstauen über der Schulter.
In den glühenden Räumen der Baumwollenmühlen werden Frauen beschäftigt. Um die heiße Luft ertragen zu können, müssen sie halb entkleidet arbeiten. Das Schwingen der Mühlräder wirbelt eine so dichte Wolke von Staub und Schmutz auf, dass diese Frauen, um einer langsamen, aber sicheren Erstickung zu entgehen, sich gezwungen sehen, Mund und Nase mit Lumpen und Baumwolle zu verstopfen. Wenn sie ihre Arbeit verlassen, sind sie mit einer Lage fettigen Staubes und Schmutzes bedeckt. [...]
Ehe die Bill für die Regulation der Bergwerke und Kohlengruben in Kraft trat, waren Tausende von Frauen und Mädchen an die Arbeiten in den Bergwerken dergestalt gewöhnt, dass sie diese Beschäftigung für den eigentlichen Zweck ihres Lebens hielten.
In den Flachsspinnereien sind die Verhältnisse von der traurigsten Art. Der Flachs wird bei einer sehr hohen Temperatur bereitet, und die Arbeit ist mit dem Verbrauch einer großen Quantität Wassers verbunden. Die Arbeiterinnen müssen den größten Teil ihrer Kleider ablegen und stehen oft bis zum Knöchel im Wasser. Die Unglücklichen, welche bei diesen Arbeiten beschäftigt werden, sterben größtenteils im Alter von 28 – 30 Jahren an langsamer Abzehrung oder auch wohl zwischen dem 18. und 20. Lebensjahre an der galoppierenden Schwindsucht, die sie oft in wenigen Tagen hinrafft. Viele kennen das Schicksal, das sie erwartet, und weihen sich dem Tode, um die fabelhafte Summe von 1 Fr. 50 Ct. pro Tag zu verdienen.
Es gibt Werkstätten und Fabriken, wo diejenigen Arbeiterinnen bevorzugt werden, welche Kinder zu versorgen haben. Der reiche Fabrikherr weiß, dass sie Brot schaffen müssen für ihre Kinder um jeden Preis und darum vor keiner Arbeit zurückschrecken. Sie lassen sich eine Verlängerung der Arbeitszeit gefallen, die in kurzer Zeit ihre Kraft und ihr Leben aufreibt.

Aus: Hedwig Dohm: Die wissenschaftliche Emancipation der Frau. In: Emanzipation. Zürich (Ala Verlag) 1977.