Strukturalismus, Poststrukturalismus

Der Strukturalismus ist eine wissenschaftliche Betrachtungsweise, die auf den Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure zurückgeht. Der Strukturalismus versucht, Sprache und andere kulturelle Zeichensysteme mit naturwissenschaftlicher Exaktheit zu beschreiben. Dabei wird versucht, für das untersuchte Phänomen eine grundlegende Struktur zu finden, die wie ein „Gitternetz“ aus Regeln und Gesetzmäßigkeiten wirkt.
In der Linguistik versteht der Strukturalismus die Sprache als ein System von Zeichen, die nach bestimmten Regeln miteinander kombiniert werden und versucht, dabei auftretende Gesetzmäßigkeiten zu beschreiben.
In der Literaturwissenschaft ist der strukturalistische Ansatz umstritten. Er bezieht sich auf Vorhandenes innerhalb des Textes. Faktoren, die außerhalb der Struktur liegen, wie zum Beispiel die Biografie des Autors oder sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte werden bei einer strukturalistischen Analyse nicht berücksichtigt. Der Text als System literarischer Zeichen wird von der realen Welt des Autors und Lesers abgekoppelt. Die Bedeutung eines Textes soll ausschließlich aus seiner inneren Struktur heraus rekonstruiert werden.

Der Poststrukturalimus kritisiert das strukturalistische Denken, nach dem jedem Zeichen eine feste Bedeutung zugeordnet werden kann. Besonders in der Literaturwissenschaft gewinnt der Poststrukturalismus an Bedeutung, indem er feststellt, dass der Sinn und die Bedeutung eines Textes nicht eindeutig feststellbar sind. Der französische Philosoph, Literatur- und Sprachwissenschaftler Michel Foucault (1926–1984) stellt fest: „Jeden Poesie- oder Fiktionstext befragt man danach, woher er kommt, wer ihn geschrieben hat, zu welchem Zeitpunkt, unter welchen Umständen oder nach welchem Entwurf. Die Bedeutung, die man ihm zugesteht, und der Status oder der Wert, den man ihm beimisst, hängen davon ab, wie man diese Fragen beantwortet.“ (In: Was ist ein Autor (1969) Literatur, Kunst und Kultur im Allgemeinen sind abhängig von den Denksystemen und den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen sie entstehen. Ihre Analyse kann deshalb nicht von der realen Welt abgekoppelt werden, sondern muss von ihr und ihrem Einfluss auf die Kunst ausgehen. Texte werden nicht mehr als abgeschlossene Systeme verstanden, sondern daraufhin untersucht, wie sie sich auf andere Texte beziehen, von diesen geprägt wurden und selbst neue Texte beeinflussen. Die Intertextualität ist einer der grundlegenden Begriffe poststrukturalistischer Literaturwissenschaft.

Eng verwandt mit dem Poststrukturalismus ist der Dekonstruktivismus. Er bezeichnet in der Literaturwissenschaft ein Lektüre- und Analyseverfahren von Texten, das sich von der Praxis der hermeneutischen Interpretation abgrenzt. Der Begriff Dekonstruktivismus ist eine Wortneuschöpfung, die Sinnkonstruktion und Sinndestruktion, also das Feststellen und erneute Verwerfen des Sinnes eines Textes miteinander vereint. Auch eine dekonstruktive Lektüre kann nicht auf eine vorhergehende (hermeneutische) Interpretation eines Textes verzichten. Anschließend jedoch zeigt sie auf, wie jeder Text Widersprüche enthält, sich scheinbar selbst widerspricht und durch seine Mehrdeutigkeit Sinn erzeugt. Insbesondere im Kontrast zum Strukturalismus, der immer wieder mit binären Oppositionen (z.B. Mann/Frau, Kultur/Natur, Wissenschaft/Literatur, Buchstäblichkeit/Bildhaftigkeit) arbeitet, weist der Dekonstruktivismus auf den Zusammenhang zwischen solchen gegensätzlichen Begriffen hin und verdeutlicht ihre gegenseitige Durchdringung. Dekonstruktivismus ist daher eine Form von Ideologie- und Kulturkritik. Als Begründer und wichtigster Vertreter des Dekonstruktivismus gilt der französische Philosoph Jacques Derrida (1930–2004).
Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus waren seit den 70er Jahren bis Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts die vorherrschenden Ansätze der Literaturanalyse und -kritik.

Strukturalistische, poststrukturalistische und dekonstruktivistische Textanalyse