Tragödie (Trauerspiel)

(von griech. tragodia „Trauerspiel")
eine Form des Dramas, in der die Tragik dargestellt wird. Neben der Komödie sie die wichtigste Form dieser Gattung.
Ihr Ursprung liegt in der antiken Literatur. Tragik war für Aristoteles der Konflikt, in den der Held durch eine Fehleinschätzung gerät und der nicht mehr zu lösen ist. Der Mensch ist dem Schicksal ausgeliefert (Sophokles, „König Ödipus“) oder muss sich zwischen zwei sich gegenseitig ausschließenden Wertesystemen entscheiden (Sophokles, „Antigone“). Das tragische Geschehen muss nicht unbedingt mit dem Tod des Helden, zumindest aber mit seinem Untergehen in der Ausweglosigkeit enden.
Die drei großen Tragiker der antiken Literatur sind Aischylos mit 90, Sophokles mit 123 und Euripides mit 92 Tragödien, von denen allerdings nur ein Bruchteil erhalten ist. Mit dem Tod von Sophokles und Euripides ging die Blütezeit der griechischen Tragödie zu Ende.
Mit Lessing begann die schrittweise Loslösung der Tragödie vom antiken Ideal und ihre Ausformungen sind nun vielfältig. Das Interesse galt nun dem Problem des Tragischen, das sich im Konflikt des Individuums mit der Gesellschaft, der Freiheit und der Notwendigkeit, der Beziehung zwischen Mensch und Gott, dem Ich und der Welt zeigt. Dieser Widerstreit ist nicht auflösbar und muss mit der Vernichtung des Einzelnen enden.
Im 20. Jh. grenzt sich das Drama seit Brecht vom aristotelischen Theater immer mehr ab. Dem modernen Bewusstsein scheint die Tragödie nicht mehr gerecht zu werden. Somit findet die Dramatik andere Formen, etwa das groteske und absurde Theater oder das Verschmelzen von Tragik und Komik wie in der Tragikomödie Dürrenmatts, das die moderne Welterfahrung widerspiegelt: „Die Tragödie setzt Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung voraus. In der Wurstelei unseres Jahrhunderts, in diesem Kehraus der weißen Rasse, gibt es keine Schuldigen und auch keine Verantwortlichen mehr. […] Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat. Uns kommt nur noch die Komödie bei.“ (Dürrenmatt)

Kennzeichen der aristotelischen Tragödie

Aristoteles
Kennzeichen der Tragödie
(um 335 v. Chr.)

Beispiel

Johann Wolfgang Goethe
Faust I (1806)
Auszug

FAUST. Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!
MARGARETE. Tag! Ja, es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;
  Mein Hochzeittag sollt es sein!
Sag niemand, dass du schon bei Gretchen warst.
Weh meinem Kranze!
Es ist eben geschehn!
Wir werden uns wiedersehn;
Aber nicht beim Tanze.
Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
Der Platz, die Gassen
Können sie nicht fassen.
Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
Wie sie mich binden und packen!
Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
Schon zuckt nach jedem Nacken
Die Schärfe, die nach meinem zückt.
Stumm liegt die Welt wie das Grab! 
FAUST. O wär ich nie geboren!
MEPHISTOPHELES erscheint draußen. Auf! oder ihr seid verloren.
  Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
Mein Pferde schaudern,
Der Morgen dämmert auf. 
MARGARETE. Was steigt aus dem Boden herauf?
  Der! der! Schick ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort?
Er will mich! 
FAUST. Du sollst leben!
MARGARETE. Gericht Gottes! dir hab ich mich übergeben!
MEPHISTOPHELES zu Faust. Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.
MARGARETE. Dein bin ich, Vater! Rette mich!
  Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,
Lagert euch umher mich zu bewahren!
Heinrich! Mir graut's vor dir. 
MEPHISTOPHELES Sie ist gerichtet!
STIMME von oben. Ist gerettet!
MEPHISTOPHELES zu Faust. Her zu mir!
Verschwindet mit Faust.
STIMME von innen, verhallend. Heinrich! Heinrich!

Aus: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Hrsg. von E. Trunz. Bd. 3: Dramatische Dichtungen. München (Hanser) 1998.