Parabel/Gleichnis

(von griech. parabole „Gleichnis")
eine lehrhafte, kurze Erzählung, bei der von einem bildhaften Beispiel durch Analogiebildung auf einen allgemeinen Sachverhalt geschlossen werden muss.
In der abendländischen Literatur hat die Parabel ihren Ursprung in den neutestamentlichen Gleichnissen Jesu, wo etwa im Gleichnis vom verlorenen Sohn das Verhältnis des Sünders zu Gott verdeutlicht wird.
Doch während im Gleichnis das Gesagte mit dem Gemeinten (eine allgemeine Wahrheit, eine höhere Einsicht) erzählerisch verknüpft ist, legt die Parabel keine bestimmte Interpretation ausdrücklich nahe. Der Leser ist aufgefordert verschiedene Auslegungen zu erwägen (z.B. die Ringparabel in Lessings „Nathan der Weise“).
Auch aus der Antike sind Parabeln bekannt, z.B. die Geschichte vom Magen und den Gliedern des Menenius Agrippa. In der modernen Literatur dienen Parabeln häufig zur Darstellung einer verrätselten Welt, so z.B. in den Parabeln Kafkas.

Merkmale

Beispiel

Franz Kafka
Gib's auf! (1936)

Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, dass es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: „Von mir willst du den Weg erfahren?“ „Ja“, sagte ich, „da ich ihn selbst nicht finden kann.“ „Gib's auf, gib's auf“, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

Aus: Franz Kafka: Beschreibungen eines Kampfes. Gesammelte Werke in acht Bänden. Hrsg. von M. Brod. Frankfurt/M. (Fischer) 1983.