Mit den politischen Veränderungen nach der Maueröffnung 1989 und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 ist auch eine neue Situation für die Literatur entstanden. Während sich die Autorinnen und Autoren in den 80er-Jahren nur sporadisch mit aktuellen politischen Themen auseinander setzten, entstand nach der so genannten Wende eine Fülle von
Literatur zur Wiedervereinigung, die in der Öffentlichkeit bisweilen zu lebhaften Kontroversen führte, allen voran
Günter Grass' Fontane-Roman „Ein weites Feld" (1995). Das aktuelle Thema der Wiedervereinigung wurde zum Teil verknüpft mit historischer Erinnerung, so z.B. in den Romanen „Die Verteidigung der Kindheit" (1991) von
Martin Walser und „Nicolaikirche" (1995) von
Erich Loest; zum Teil bot die Vereinigung auch Anlass zu
(auto-)biografischem Schreiben, z.B. für
Günter de Bruyn („Zwischenbilanz", 1992),
Monika Maron („Stille Zeile Sechs", 1991),
Wolfgang Hilbig („Ich", 1993) oder wiederum Martin Walser („Ein springender Brunnen", 1998). In zahlreichen Prosatexten nach 1989 werden Lebensgeschichten vorgeführt, deren Protagonisten auf der Suche nach ihrem Platz in der heutigen Gesellschaft sind, oft in
postmodernem Schreibstil wie z.B. in
Sibylle Bergs Episodenroman „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" (1997) oder in
Zoë Jennys Roman „Das Blütenstaubzimmer" (1997). Als postmodern gilt auch der Rückgriff auf Geschichte und Mythos wie in
Robert Schneiders verfilmtem Bestseller „Schlafes Bruder" (1992), der eine fiktive Musikerbiografie des 19. Jahrhunderts entwirft, oder in
Marcel Beyers „Flughunde" (1995), wo der Nationalsozialismus aus aktueller Perspektive beleuchtet wird. So ist neben einer wieder stärkeren Verklammerung von Literatur, Politik und Moral, der Hinwendung zum historisch-biografischen Schreiben und der Rückzug ins Private die Vielfalt der Formen und Schreibstile ein Kennzeichen der gegenwärtigen Literatur.