(von griech. poitiké (téchne) „(Er-)Dichten, Dichtkunst")
die Lehre von der Dichtkunst (Posie). Sie beschäftigt sich mit dem Wesen und der Wirkung von Dichtung, d.h. mit ihren Gattungen, Wirkungsmitteln und Funktionen. Auch Literaturphilosophie ist Bestandteil poetischen Denkens.
Zahlreiche Schriftgelehrte und Dichter haben ihre Lehre von der Dichtkunst schriftlich festgehalten, diese Werke werden ebenfalls als Poetiken bezeichnet. Es gibt normative Poetiken, die das Dichten mithilfe von Regeln und Normen als erlernbare Kunst darstellen, und es gibt deskriptive Poetiken, die aus dem Nachdenken über Literatur heraus beschreiben, welche Gestaltungs- und Wirkmöglichkeiten es beim Verfassen von dichterischen Werken gibt. Während normative Poetiken eher als Anweisung für Dichter zum Verfassen ihrer Werke bestimmt sind, geben deskriptive Poetiken der Literaturkritik Kriterien vor, anhand derer Werke der Dichtkunst bewertet werden können.
Die älteste bekannte Poetik des Abendlandes ist die Schrift „Peri poietikes“ (Über die Dichtkunst) des griechischen Philosophen
Aristoteles. Die nur fragmentarisch erhaltene Schrift verfolgt einen deskriptiven Ansatz. Seit ihrer Wiederentdeckung im Spätmittelalter bildet die Poetik des Aristoteles die Grundlage aller späteren Dichtungstheorien. Eine weitere bedeutsame Poetik der Antike ist die „Ars Poetica“ (Dichtkunst) des römischen Dichters
Horaz.
Die ersten deutschsprachigen Poetiken entstanden im Zusammenhang mit dem Bemühen der
barocken Sprachgesellschaften um eine eigenständige deutsche Dichtung. Wegbereitend war das „Buch von der Deutschen Poeterey“ (1624) von
Martin Opitz, die erste Dichtungslehre für deutschsprachige Literatur.
Einen neuen Akzent in der deutschsprachigen Dichtungslehre setzte die
Aufklärung. Dichtung wurde als zweite Malerei begriffen, das literarische Kunstwerk als eine schriftliche Nachbildung der Natur. Die in Deutschland bekannteste Poetik der Aufklärung war der „Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“ (1730) von
J. Chr. Gottsched.
Das Literaturverständnis des
Sturm und Drang, das vom Dichter als Originalgenie ausging, führte zu einer Ablehnung von systematischen Beschreibungen der Dichtkunst und vor allem von normativen Vorgaben für das Dichten. Tatsächlich wurden in der Folgezeit keine umfassenden Poetiken mehr veröffentlicht. In poetologischen Schriften reflektieren Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Philosophen jedoch bis heute einzelne Themen der Dichtkunst, häufig in der Form eines
Essays. Zu den größten Dichtungstheoretikern des 20. Jahrhunderts zählen der ungarische Philosoph und Literaturwissenschaftler
George Lukács und
Bertolt Brecht.