Sichtweise des Erzählers/der Erzählerin

Der Erzähler erzählt aus einer bestimmten Sichtweise. Der Erzähler kann sich auf die Außensicht bei der Darstellung der Figuren beschränken, er kann aber auch in sie hineinblicken, ihre Gedanken und Gefühle wiedergeben. Die Außensicht steht jedem Erzähler zur Verfügung, die uneingeschränkte Innensicht für alle auftretenden Figuren nur dem Er-/Sie-Erzähler. Der Ich-Erzähler kann natürlich sein eigenes Innenleben vor dem Leser detailliert ausbreiten, vom Innenleben anderer kann er nur berichten, wenn er zugleich auch dem Leser einsichtig macht, woher er seine Kenntnisse hat, ob er zum Beispiel vom Äußeren auf das Innere schließt oder ob die betreffende Person ihm ihr Innenleben offenbart hat.

Übersicht

Beispiel - Innensicht und Außensicht

a) Innensicht (Anfang)

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.
‚Was ist mit mir geschehen?', dachte er. Es war kein Traum.


b) Außensicht (Ende)

Sie beschlossen den heutigen Tag zum Ausruhen und Spazierengehen zu verwenden; sie hatten diese Arbeitsunterbrechung nicht nur verdient, sie brauchten sie sogar unbedingt. Und so setzten sie sich zum Tisch und schrieben drei Entschuldigungsbriefe, Herr Samsa an seine Direktion, Frau Samsa an ihren Auftraggeber und Grete an ihren Prinzipal. Während des Schreibens kam die Bedienerin herein um zu sagen, dass sie fortgehe, denn ihre Morgenarbeit war beendet. Die drei Schreibenden nickten zuerst bloß ohne aufzuschauen, erst als die Bedienerin sich immer noch nicht entfernen wollte, sah man ärgerlich auf. „Nun?“, fragte Herr Samsa. Die Bedienerin stand lächelnd in der Tür, als habe sie der Familie ein großes Glück zu melden, werde es aber nur dann tun, wenn sie gründlich ausgefragt werde. Die fast aufrechte kleine Straußenfeder auf ihrem Hut, über die sich Herr Samsa schon während ihrer ganzen Dienstzeit ärgerte, schwankte leicht nach allen Richtungen. „Also was wollen Sie eigentlich?“, fragte Frau Samsa, vor welcher die Bedienerin noch am meisten Respekt hatte. „Ja“, antwortete die Bedienerin und konnte vor freundlichem Lachen nicht gleich weiterreden, „also darüber, wie das Zeug von nebenan weggeschafft werden soll, müssen Sie sich keine Sorge machen. Es ist schon in Ordnung.“

Aus: Franz Kafka: Die Verwandlung. In: ders.: Erzählungen. Gesammelte Werke in acht Bänden. Hrsg. von Max Brod. Frankfurt/M. (Fischer) 1983.