Minnesang

höfisch-ritterliche Liebeslyrik des Mittelalters
Die Lyrik des Minnesangs war wie die ritterliche Epik adlige Gesellschaftsdichtung des Mittelalters. Beide wurden im Rahmen des höfischen Festes den versammelten Damen und Herren vorgetragen und bestätigten den Anwesenden ihren Wert und ihre Bedeutung in der idealistisch überhöhten Darstellung von Standesmitgliedern und ihres vorbildlichen Verhaltens. Es handelte sich in dieser Literatur keineswegs um Abbilder realen Lebens; kein Ritter und keine adlige Frau entsprachen in ihrem konkreten Dasein den literarischen Helden und „hohen frouwen“. So muss man auch die komplizierte, manchmal gekünstelt wirkende Grundkonstellation des Minnesangs in seiner rein erzieherischen Funktion verstehen.
Der ritterliche Sänger wirbt um die Gunst einer Dame, von der er weiß und erwartet, dass sie sein Werben nicht erhört, da sie die Ehefrau eines hohen Herrn, oft seines Dienstherrn, ist. Die Unerfüllbarkeit seines Strebens treibt ihn zu immer neuen Steigerungen in seinen Liebesbekenntnissen und in der Anbetung der Schönheit seiner Auserwählten, zu deren Wert und Würde es aber eben gehört, zu ihm ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen ermutigender Nähe und abweisender Distanz aufrechtzuerhalten. Die dadurch vermittelte Verfeinerung der Sitten für Mann und Frau trug zur Exklusivität des eigenen Standes in einem allgemein noch stark von der Erfüllung elementarer Lebensbedürfnisse geprägten Dasein bei.
Auch die Lieder, die sich von dem subtilen Liebeskonzept der so genannten „hohen Minne“ abwenden und der unkomplizierten Liebe einer „niederen Minne“ das Wort reden, bleiben an den höfischen Verwendungszusammenhang gebunden und stellen dort eine provokante, erfrischende Abwechslung dar, ohne in ihrer Intention etwas grundsätzlich anderes als Beitrag zur ritterlichen Selbstverständigung zu sein.

höfisch-ritterliche Literatur

Formen:
Autoren: Mitglieder des hohen und niederen Adels, fahrende Sänger

Adressaten: die Gesellschaften auf Burgen und an Höfen, denen die Texte vorgetragen wurden (selbst lesen konnten nur der Klerus und eine kleine Minderheit gebildeter städtischer Patrizier und Mitglieder des Adels, hauptsächlich adlige Damen)

Sprache: Deutsch

Wirkungsabsicht: Unterhaltung der höfischen Gesellschaft, Vermittlung von Standesbewusstsein, Anleitung zu einem standesgemäßen Verhalten: Verfeinerung der ritterlichen Ethik und Lebensweise

Beispiel

Der von Kürenberg
Ich zôch mir einen valken (um 1160)

Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr.
dô ich in gezamete als ich in wolte hân
und ich im sîn gevidere mir golde wol bewant,
er huop sich ûf vil hôhe und floug in anderiu lant.

Sît sach ich den valken schône fliegen.
er fuorte an sînem fuoze sîdîne riemen,
und was im sîn gevidere alrôt guldîn.
got sende si zesamene die gerne geliep wellen sîn!

Aus: Deutsche Lyrik des frühen und hohen Mittelalters. Frankfurt/Main (Deutscher Klassiker Verlag) 1995.