Die prinzipielle Ausrichtung der bürgerlichen Gesellschaft auf Vernunft und vorurteilsfreie Argumentation in der
Aufklärung führte nicht geradlinig in eine bessere Zukunft für alle. Im Gegenteil, Verstand, klare Sprache, logisches Denken und umsichtiges Planen wurden auch zu Formen von Herrschaft und Unterdrückung missbraucht. In den Städten und Kirchen entstanden Rituale und Reglementierungen, an den Fürstenhöfen Verwaltungen, Militär- und Hofzeremonielle, die Abhängigkeiten in höchstem Maße rational ordneten und die dennoch menschenverachtend und unvernünftig waren. Gegen diese Form der Verplanung von Menschen als Soldaten, Beamte oder gewerbetreibende Bürger wandte sich die
bürgerliche Gefühlskultur. Sie hatte einen religiösen Ursprung. Die dogmatische Enge in den Amtskirchen führte vor allem im Protestantismus zu einer alternativen Art der Frömmigkeit, der Strömung des Pietismus. Die menschliche Fähigkeit zu fühlen und zu empfinden stand im Mittelpunkt. Eine neue Sprache des Herzens entstand, zuerst in
Kirchenliedern, dann auch in der weltlichen Literatur der Zeit der
Empfindsamkeit. Wörter wie „Selbsterfahrung“, „Lebensstrom“, „Gemütlichkeit“, „überfließen“, „einschreiben“, „zärtlich“, „berührt“ stammten aus dem Wortschatz des Pietismus. Hinzu kam eine Vielzahl von
metaphorischen Verwendungen von Begriffen („Mutter Natur“, „Tor des Herzens“, „Meer der Empfindungen“, „Sturm der Begeisterung“) und Wendungen, die der Intensität des Gefühls Ausdruck verliehen.