Spruchdichtung

Neben dem Minnesang existiert um 1200 (Mittelalter) die sogenannte Spruchdichtung, die – vor allem durch Walther von der Vogelweide geprägt – als eine aufschlussreiche literarische Quelle für gesellschaftliche, politische und religiöse Probleme der Zeit gilt. Neben dem gesprochenen Sprech-Spruch war wohl der lyrische Sang-Spruch sehr beliebt. Minnesänger konnten hier auf ihre persönliche Situation, zum Beispiel Abhängigkeit und wirtschaftliche Not, hinweisen oder durch ausgesprochenes Lob ihrer derzeitigen Herrn diese bewegen, ihnen gegenüber großzügig zu sein. Besonders interessant sind die politisch motivierten Lieder, die ein Licht auf die unruhige Zeit um 1200 werfen: Walther sah die göttliche Ordnung, wie sie im Ordo-Gedanken des Mittelalters zum Ausdruck kommt, als bedroht an, da das Kaisertum in seinen Augen gefährdet war; zum einen durch den Streit zwischen den Adelsgeschlechtern der Staufer und Welfen, zum andern durch die Angriffe aus Rom, wo ein „zu junger“ Papst (Innozenz) römische Weltmachtansprüche aggressiv zum Ausdruck brachte. Das dualistische Geschichtsbild der Stauferzeit, das von der Spannung, aber vor allem vom Ausgleich zwischen Gottesreich (Papsttum) und Weltreich (Kaisertum) lebte, schien zu zerbrechen; Minnesänger dieser Zeit reagierten hierauf mit ethischen Ermahnungen, aber auch mit eindeutigen politischen Parteinahmen.

Ritterlich-höfische Literatur des Mittelalters

Formen:
Autoren: Mitglieder des hohen und niederen Adels, fahrende Sänger

Adressaten: die Gesellschaften auf Burgen und an Höfen, denen die Texte vorgetragen wurden (selbst lesen konnten nur der Klerus und eine kleine Minderheit gebildeter städtischer Patrizier und Mitglieder des Adels, hauptsächlich adlige Damen)

Sprache: Deutsch

Wirkungsabsicht: Unterhaltung der höfischen Gesellschaft, Vermittlung von Standesbewusstsein, Anleitung zu einem standesgemäßen Verhalten: Verfeinerung der ritterlichen Ethik und Lebensweise

Beispiel

Walther von der Vogelweide
Ich saz ûf eime steine (um 1200)

Ich saz ûf eime steine,
und dahte bein mit beine:
dar ûf satzt ich den ellenbogen:
ich hete in mîne hant gesmogen
daz kinne und ein mîn wange.
dô dâhte ich mir vil ange,
wie man zer welte solte leben:
deheinen rât kond ich gegeben,
wie man driu dinc erwurbe,
der keines niht verdurbe.
diu zwei sint êre und varnde guot,
daz dicke ein ander schaden tuot:
daz dritte ist gotes hulde,
der zweier übergulde.
die wolte ich gerne in einen schrîn.
jâ leider desn mac niht gesîn,
daz guot und weltlich êre
und gotes hulde mêre
zesamene in ein herze komen.
stîg unde wege sint in benomen:
untriuwe ist in der sâze,
gewalt vert ûf der strâze:
fride unde reht sint sêre wunt.
diu driu enhabent geleites niht,
diu zwei enwerden ê gesunt.

Aus: Walther von der Vogelweide: Gedichte. Ausgewählt und übersetzt von P. Wapnewski. Frankfurt/M. (Fischer) 1976.