In Italien und anderen westeuropäischen Ländern entstanden während der so genannten
Renaissance (15.–16. Jh.) unter Anknüpfung an die klassische Antike stilbildende Meisterwerke in allen Künsten. Im Gegensatz dazu entwickelte sich in Deutschland erst ein Jahrhundert später eine Hochliteratur europäischen Ranges. Ausgerechnet im Zeitalter des
Dreißigjährigen Krieges (1618–1648), eines der fürchterlichsten Kriege, die je in Mitteleuropa ausgetragen wurden, fand die deutsche Literatur Anschluss an den Standard der Nachbarländer.
Zentren der kulturellen Entwicklung waren einmal die
Städte mit ihren Schulen und Universitäten, vor allem aber die
Höfe der vielen zur vollen Souveränität gelangten Territorialfürsten, die ihre Herrschaft im Sinne des Absolutismus (Vorbild: „Sonnenkönig" Ludwig XIV. in Frankreich) ausbauten. In diesen beiden Zentren fand sich die Gesellschaft, in der und für die von den barocken Dichtern geschrieben wurde; immer noch waren es fast ausschließlich Dichter und nur wenige Dichterinnen.
Um die Leistung der barocken Dichtergenerationen zu würdigen, muss man auf die Entfaltung und Verfeinerung der neuhochdeutschen Literatursprache und die Entwicklung der meisten bis heute wichtigen
literarischen Gattungen und Formen hinweisen. In einer Reihe von Poetiken wie dem „Buch von der deutschen Poeterey“ (1624) des
Martin Opitz wurden diese Gattungen und Formen normativ festgelegt und in rezeptartigen Anweisungen wurde beschrieben, wie Dichtung herzustellen sei.
Nur bestimmte Stoffe und Themen galten als literaturwürdig und wurden immer wieder bearbeitet: das Schicksal christlicher Märtyrer, die Taten antiker und ritterlicher Helden, das Herrscherlob, ländliche Idyllen und Schäferspiele, Frauenpreis und Liebe, die Aufforderung zum Lebensgenuss (Carpe diem) sowie die Ermahnung, des Todes und der Nichtigkeit alles Irdischen zu gedenken (Memento mori und Vanitas). Die Aufgabe des Poeten bestand darin, diese Inhalte in ein möglichst brillantes, den Kunstverstand des Publikums ansprechendes sprachlich-rhetorisches Gewand zu kleiden.
Solch ein Verständnis der Poesie als geschmackvolle Einkleidung von Inhalten barg die Gefahr, die Ausschmückung in Wortspiel,
Metaphorik und
Rhetorik immer weiter zu steigern, zumal die „Gewänder“ in ihren Grundformen, d.h. die Genres und Gattungen, ja festgelegt waren. So ist zu einem Teil der barocke „Schwulst“ zu erklären, der uns heute als typisch für die Zeit erscheint.
Neben der repräsentativen Auftrags- und Gesellschaftskunst im Umkreis der Residenzen, produziert von gebildeten Adligen und Bürgern, die direkt als Hofpoeten angestellt waren oder als Verwaltungsbeamte und Gelehrte in ihren Mußestunden schrieben, gab es auch eine von den niederen Ständen – soweit sie lesen konnten – rezipierte Literatur. Sie war im Wesentlichen zur Erbauung und Lebenshilfe verfasst; typisch dafür ist die vielfältige
Kalenderliteratur. In diesen Umkreis gehört auch der Fortsetzungsroman „Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch“ des
Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, dem spanischen Muster des Schelmenromans nachgebildet. „Männiglich nützlich zu lesen“, betont der Autor auf dem Titelblatt ganz im Sinne bekannter Rechtfertigungen der Lektüre als christliche Lebenshilfe.