Dem bürgerlichen (auch: poetischen) Realismus geht es um die Darstellung der Wirklichkeit, allerdings nicht im Sinne einer bloßen Widerspiegelung der vorgefundenen Realität, sondern im Sinne einer künstlerischen Gestaltung der Stoffvorlage. Bei der dichterischen Bearbeitung orientieren sich die bürgerlichen Realisten in
Roman und
Novelle, die als dominierende Gattungen erscheinen, am Vorbild des Bildungsromans aus der Goethezeit und in der
Dramatik und
Lyrik an stilistischen Mustern aus
Klassik,
Romantik und
Biedermeier.
Zwei auffallende Tendenzen in der Themenwahl sind der
Regionalismus und der
Historismus. Die Autoren meiden die großen gesellschaftspolitischen Probleme und wenden sich der engeren lokalen Heimat mit ihrer Landschaft und ihren Menschen zu – oder sie ziehen sich in die Geschichte zurück, allerdings nicht zum Zwecke politischer Aufklärung, sondern um Historienbilder auszumalen.
Im Zentrum aller Romane, Dramen und Gedichte steht weiterhin der Einzelmensch, das
Individuum, obwohl die Wirklichkeit zunehmend von den durch Industrialisierung und Verstädterung geschaffenen Menschenmassen bestimmt wurde. Stilistisches Merkmal vieler Werke des poetischen Realismus ist der
Humor in seinen verschiedenen Spielarten zwischen Milde und Bitterkeit. Er ermöglicht die Distanz zu dem eigentlich Unerträglichen und Empörenden in der Wirklichkeit und legt den Leserinnen und Lesern ein augenzwinkerndes Sichabfinden mit den Gegebenheiten nahe.
Auch da, wo dieser Realismus schärfere gesellschaftskritische Konturen gewinnt, wie zum Beispiel in den Romanen
Theodor Fontanes, bleibt die Anklage auf einzelne Fehler und Schwächen im Gesellschaftsgefüge beschränkt und wendet sich nie gegen das ganze System und die Bedingungen seines Bestehens.