Fabel

(von lat. fabula „Rede, Erzählung")
1) Plot, „Stoff- oder Handlungsgrundgerüst“ eines epischen Textes
2)Erzählung mit belehrender Absicht, in der die Akteure meist Tiere mit menschlichen Eigenschaften sind. Sie geht auf die Fabeln des griechischen Sklaven Aisopos (Aesop) im 6. Jh. vor Christus zurück.
Der Reiz der Fabel liegt einerseits in ihrer doppelten Natur von Erzählung und Lehre und andererseits in der festen Zuordnung bestimmter Eigenschaften bei den handelnden Tieren: Fuchs = schlau, Wolf = gierig usw. Meist wird die Lehre der Fabel vorab oder am Ende der Geschichte nach dem Motto „und die Moral von der Geschicht …“ eigens verdeutlicht.
In Deutschland hatte die Fabel ihren größten und vorläufig letzten Höhepunkt als bevorzugte Gattung im Zeitalter der Aufklärung. Typisch für die Fabeln des 18. Jh. war die Betonung der bürgerlichen Lebensklugheit; dagegen trat die moralische Belehrung eher in den Hintergrund.
Im 20. Jh. rückt die Fabel durch ihre lehrhafte Anlage und die kurze prägnante Erzählform in die Nähe der Parabel.

Wie man eine Fabel dichtet

Beispiel

Gotthold Ephraim Lessing
Der kriegerische Wolf (1759)

Mein Vater, glorreichen Andenkens, sagte ein junger Wolf zu einem Fuchse, das war ein rechter Held! Wie fürchterlich hat er sich nicht in der ganzen Gegend gemacht! Er hat über mehr als zweihundert Feinde, nach und nach, triumphiert und ihre schwarze Seelen in das Reich des Verderbens gesandt. Was Wunder also, dass er endlich doch einem unterliegen musste!
So würde sich ein Leichenredner ausdrücken, sagte der Fuchs; der trockene Geschichtsschreiber aber würde hinzusetzen: die zweihundert Feinde, über die er nach und nach, triumphieret, waren Schafe und Esel; und der eine Feind, dem er unterlag, war der erste Stier, den er sich anzufallen erkühnte.


Aus: Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hrsg. von W. Barner. Bd. 4. Frankfurt/M. (Deutscher Klassiker Verlag) 1994.